„Deine Faust ist zu hoch, wir machen Shotokan und nicht Goju Ryu!“ Dieser Satz ist mitunter von Shotokan-Trainern zu hören. Es ist aber auch das Umgekehrte von Goju Ryu – Trainern zu hören („Deine Faust sitzt zu tief ….“).
Woher kommt diese Auffassung, dass die Hikite-Faust beim Shotokan in Gürtelhöhe oder noch tiefer positioniert sein muss bzw. beim Goju Ryu, Shito Ryu, Wado Ryu hoch oben? Man sieht tatsächlich mitunter Karateka mit der Hikite-Faust am/unter dem Gürtel (= Unterarm läuft bergab), aber auch fast in der Achselhöhle (= Unterarm läuft bergauf). Die meisten Trainer haben keine vernünftige Antwort parat und folgen dieser „Regel“ einfach deshalb, „weil das immer schon so war.“
Um dieser Sache auf die Spur zu kommen, haben wir Fotos von alten und jüngeren Meistern herangezogen, ebenso von Spitzen-Wettkämpfern (siehe Fotogalerie):
Gichin Funakoshi, Yoshitaka Funakoshi, Kenneth Funakoshi, Hirokazu Kanazawa, Hidetaka Nishiyama, Masatoshi Nakayama, Taiji Kase, Hiroshi Shirai, Keinosuke Enoeda (alle Shotokan); Morio Higaonna (Goju Ryu), Tsuguo Sakumoto (Ruyeiryu, Goju Ryu), Ryoki Abe (Goju Ryu), Dario Marchini, Michael Milon, Sharzad Mansouri, Siegi Hartl, Kristijan Nowak, Luca Valdesi (alle Shotokan)
Nun kommt das Kuriosum:
Keiner der Meister hatte die Hikite-Faust in den oben geschilderten Extrem-Positionen (Shotokan: tief unten / Goju Ryu: hoch oben), sondern individuell in der Flankenmitte. Noch deutlicher ist dies bei den Wettkämpfern zu sehen:
Es geht weniger um die Frage nach der richtigen Position der Faust, sondern es geht um das Faktum, dass der UNTERARM mehr oder weniger PARALLEL zum Boden verläuft! Aus biomechanischen Überlegungen ist dies mehr als verständlich, weil nur so eine technisch korrekte Ausführung des Choku Zuki möglich ist.
Bei einer Fausthaltung am/unter dem Gürtel wird aus dem Choku Zuki ein Age-Zuki, und bei einer zu hohen Fausthaltung gelingt der Zuki ebenfalls nicht choku (geradlinig), sondern es entsteht eher ein Schlag nach unten und kein gerader Zuki.
Daher:
Bei HIKITE muss der Unterarm – unabhängig von der Stilrichtung – parallel zum Boden verlaufen. Aus dem Verlauf des Unterarms ergibt sich dann die Position der Faust. Und diese ist schon allein wegen der individuell unterschiedlichen Arm-Längen und -Proportionen unterschiedlich.
Ein weises Scherzchen am Schluss:
Schüler: „Warum machst Du die Technik diesmal anders, Sensei?“
Meister: „Weil der Gegner anders angreift!“