Geistige und körperliche Leistung müssen Hand in Hand gehen, sagt Psychiater und Hirnforscher Manfred Spitzer.
Der deutsche
Hirnforscher und Psychiater Manfred Spitzer findet, dass die jüngsten
Aussagen von Schwimmstar Markus Rogan (“Gute Sportler haben nicht viel im
Kopf”) “völliger Nonsens” sind. Warum Jogging das beste Training
für das Gehirn ist und er für Sportunterricht in der ersten Schulstunde plädiert,
verrät er im Gespräch mit derStandard.at.
derStandard.at: Markus Rogan hat im Ö3-Interview gesagt, gute Sportler hätten nicht
viel im Kopf. Schließen sich Sport und geistige Leistungen aus?
Spitzer: Das ist völliger Nonsens. Wir wissen, dass Bewegung auf ganz hohem Niveau
die geistige Leistungsfähigkeit zunächst einmal verbessert. Vielleicht meint
Rogan so etwas wie: Nur Dumme können sich das zumuten, was man sich heute als
Spitzensportler zumuten muss, also zwölf Stunden Training am Tag. Aber was die
Leute verstehen, ist: Sport macht dumm. Und das ist eben nicht der Fall.
derStandard.at: Inwiefern verbessert Bewegung die geistige Leistungsfähigkeit?
Spitzer: Man weiß, dass zum Beispiel Nervenzellen bei körperlicher Bewegung
stärker nachwachsen, und zwar auch beim Erwachsenen. Diese erst durch den Sport
erlangten Nervenzellen gehen aber wieder kaputt, wenn sie nicht gebraucht
werden. Man muss sie durch komplexe Aufgaben benutzen, denn wenn man nur
einfache Aufgaben macht, gehen sie nach drei Wochen kaputt. Deshalb ist es ganz
wichtig, dass körperliche und geistige Leistungen Hand in Hand gehen. Denn
beides zusammen bewirkt, dass im Gehirn mehr Nervenzellen vorhanden sind.
derStandard.at: Sport ist also ein gutes Gehirntraining?
Spitzer: Um es einmal ganz platt auszudrücken: Das besten Gehirnjogging ist
Jogging. Aber man muss eben hinterher mit dem Gehirn etwas machen.
derStandard.at: Ist es von Vorteil für Sportler, wenn man “das Hirn
abschalten” kann, wie Markus Rogan sagt?
Spitzer: Bei Wettkämpfen geht es oft um Zehntel- und Hundertstelsekunden. Wenn
man als Sportler mit Problemen belastet ist oder über etwas Komplexes
nachdenkt, kostet das Energie und stört das Gehirn bei der Programmierung von
Bewegungen. Ich würde aber nicht von Gehirnabschalten reden. Meditationskünstler
sagen ja auch nicht, sie schalten ihr Gehirn ab, sondern dass sie den Geist
offen halten wollen und versuchen, Ablenkungen auszuschalten. Das ist etwas,
das der Sportler auch können muss.
derStandard.at: Sind quälende Fragen und Angst vor dem Wettkampf ein Zeichen von
Intelligenz?
Spitzer: Quälende Fragen sind kein Zeichen von Intelligenz. Und Angst hat die
Funktion, dass wir in unserem Gehirn alles Mögliche ausblenden. Wer Angst hat,
ist nicht kreativ, hat also nicht viele verschiedene Einfälle, sondern
konzentriert sich auf das Wesentliche. Angst blockiert die geistige
Leistungsfähigkeit. Das hat aber mit Intelligenz nichts zu tun, denn
Intelligenz liefert uns viele verschiedene Lösungsansätze.
derStandard.at: Wie sieht der ideale Sportler nun aus?
Spitzer: Ein Leistungssportler, der nichts als seinen Sport im Kopf hat, tut mir
leid. Man ist ja auch als Sportler noch Mensch und ein abgerundetes, in
verschiedenen Bereichen kompetentes Individuum. Ich würde nicht sagen, dass es
zu den Zielen eines Leistungssportlers gehört, dass er zum Vollidioten wird,
weil er dann besonders schnell schwimmt oder läuft. Ein Sportler profitiert
durchaus davon, wenn er denkt. Während seiner Performance soll er möglichst
nicht denken. Aber dann zu folgern, wir brauchen einen Volltrottel für den
Hochleistungssport, das halte ich für Unfug.
derStandard.at: Für wie wichtig halten Sie Sportunterricht an den Schulen?
Spitzer: Im Sport werden Fähigkeiten wie Konzentration, Ausdauer, Dranbleiben
und Selbstvertrauen trainiert. Das muss ja ein Schüler erst einmal lernen. Und
das lernt er nicht beim Integrieren, sondern in Fächern wie Sport, aber auch
Musik und Theaterspielen. Da lernt er Selbstbeherrschung und Vertrauen, und das
braucht er in jedem Schulfach. Deswegen ist Sport etwas ganz Wichtiges.
derStandard.at: Sport kann also auch die schulischen Leistungen verbessern?
Spitzer: Amerikanische Studien zeigen, dass Schüler, wenn sie in der ersten
Stunde Sport machen, insgesamt in der Schule viel besser sind. Sport hat sehr
positive Auswirkungen auf die Schulleistung. Ihn wegzulassen und zu sagen, wir
brauchen nur noch geistiges Training in den Schulen, ist grober Unfug. Jeden
Tag eine halbe oder dreiviertel Stunde Sport an allen Schule würde den
Lernerfolg deutlich bessern. (Sarah Dyduch, derStandard.at, 1.8.2012)
Manfred Spitzer (54) studierte Medizin, Psychologie
und Philosophie in Freiburg, wo er sich auch in Psychiatrie habilitierte. Er
war Oberarzt in Heidelberg und lehrte in Harvard, 2004 gründete er das
Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen der Universität Ulm.